Von Dezember bis Januar dauert der indische Winter. Dass es
einmal kalt wird in Jagdalpur konnte ich mir während der warmen Regenzeit gar
nicht vorstellen, aber so ist das ja immer.
Für meinen Nordindienurlaub (siehe Skiverleih Nr.371) hatte
ich mit einer Freundin zusammen eine wollende Strickjacke gekauft, mit ihrem
Versprechen, dass ich sie auch in Jagdalpur tragen könnte. Die meisten, die ich
nach ihrer Lieblingszeit in Jahr fragte, sagten voller Überzeugung: die
Winterzeit- und auch mich sollte diese ungewöhnliche, kurze, überraschende
Jahreszeit in ihren Bann ziehen.
Eins nach dem anderen eröffneten am Straßenrand
improvisierte ’Wintergeschäfte’, wo man über Handschuhe, Mützen, Kopftücher,
Wollsocken, schrecklich bunte Synthetikjacken, Daunenjacken und –westen alles
bekommen konnte. Auch die Geschäfte in der Hauptstraße änderten ihr Sortiment
und die sonst in der untersten Schublade versteckten Schals und Jacken kamen
zum Vorschein. Die Lehrer trugen über ihren Saries warme Jacken oder schöne
bestickte Tücher und beschwerten sich zich mal am Tag, dass es „einfach zu kalt
wäre“ ohne mal nach draußen in die Sonne zu gehen. Ich kaufte mir noch mal eine
warme Decke und schloss am Abend die Fenster, die ich seit 5 Monaten noch nie
zugemacht hatte- es wurde Winter.
Mal eben mit dem Motorrad vorbei und ein paar warme Jacken kaufen? |
Der indische Winter ist schon etwas Sonderbares. Ähnlich wie
von Wüstenwetter bekannt, fallen die Temperaturen abends schlagartig auf
wenige, vielleicht 9 Grad, die Nacht ist kalt, der Morgen nebelig und
ungemütlich, bis die warme Sonne das
Land am Morgen um 9 Uhr wieder aufwärmt und man sein Mitgegessen in kühlenden
Schatten unter Palmen im T-Shirt genießen kann. Aber gerade diesen wenigen,
kalten, nebeligen Morgenstunden verzaubern die Stadt und die Menschen und ich
beschloss diesem nachzugehen, bei einem frühen Morgenspaziergang, eingepackt in
Socken (Primäre, meine ersten Wollsocken in Indien), Schal und Mütze.
Als um kurz vor 6 am Morgen mein Wecker klingelte hätte ich
mich am liebsten, wie sonst immer, noch mal in meiner Kuscheldecke umgedreht
und weiter geträumt, aber heute heiß es: Das Morgengeheimnis lüften, und dafür
warm anziehen. Mit Kamera und ein wenig Gel für warmen Tee ausgestattet ging’s
in die Nachbarschaft zu einen nah gelegenem See den ich wenige Tage zuvor durch
Zufall entdeckt hatte. Der Morgen war kalt und nebelig und der Wachposten am
Schultor, warm eingemurmelt in seinen Schal, murmelte ein überraschtes „good morning,
mam“ und schloss mir das Tor auf.
Das Leben fängt hier in Indien schon sehr früh am morgen an,
und selbst wenn die Schulkinder der staatlichen Schulen erst um 9 oder sogar
noch später zur Schule müssen, wird morgens gelernt, heiß Wasser zum waschen
gemacht, das Grundstück gefegt und die Straße bewässert (es hat seit 3 Monten
schon nicht mehr geregnet und um vollkommenes zustauben zu verhindern wird
regelmäßig die Straße mit Wassereimern bearbeitet). So musste ich mich zwischen
die Wasserschüben aus Plastikeimern hindurchdrängeln, konnte beobachten wie
früh am Morgen die Geschäfte mit neuen Waren beliefern wurden, Männer tief
eingemurmelt in Schals und Mützen lebendige Händchen mit dem Motorrad zum
nächstem Markt fuhren und sich an Feuern an Straßenecken, die zum
Müllverbrennen dienen, die Hände gewärmt wurden.
Zwei Sikh- Jungs wärmen sich vor der Schule am Feuer vor dem Haus auf |
Über allem lag der
Morgennebel, der die Straßen wie im Märchen erscheinen ließ und besonders als
ich am künstlichen See mit einer Götterstatue in der Seemitte, angekommen war
kam mir alles ziemlich unwirklich.
wunderbare Natur, Müll, Armut und Reichtum- manchmal weiß ich nicht ob ich weinen oder lachen soll |
Fahrradrikschas warten auf ihren Einsatz |
Die Wohngegend um die Schule und auch am See ist sehr
ärmlich: kleine Hütten, manche ohne fließend Wasser, Müllberge türmen sich am
Uferrand und Kinder spielen später mit gefundenen Metallkisten barfuss in
zerlöcherten Kleidern. Ich war da schon eine Erscheinung, und sofort kam eine
alte Frau, eingehüllt in schmutzige Tücher und einen Baby auf dem Arm zu mir um
mit mir zu reden. Mit einigen Kommunikationsschwierigkeiten verabschiedete ich
mich schließlich und erkundete neugierig und staunend den neu angelegten
Kiesweg um den See herum.
Eine Frau sortierte vor ihrem Haus Reiskörner und
wendete sich ganz schnell ab als ich zu ihr hinüber sah, etwas später trafen
sich am Seeufer Männer zum Zähneputzen und redeten belustigt in Hindi. Ich traf
Marco und seine Freunde, deren staatliche Schule (dort wird zwar English
gelehrt, aber meist nur sehe bescheiden) um 11Uhr beginnt, und die ihre Zeit
mit abhängen und Kartenspielen am morgen rumschlagen. Ein Englisch sprechender
Shopkeeper auf seinem morgendlichen Spaziergang gesellte sich zu mir und
erzählte mir von seiner Familie und seinem Business, einige Zeit lang sah ich 4
Frauen beim Wäschewachen im See zu: kaltes, schmutziges Wasser und einen Berg
voll Wäsche von mehreren Kindern, Ehemann und den Schwiegereltern- und trotzdem
schienen sie diese Morgendliche Auszeit unter sich zu genießen.
Der neue (fast fertige) Weg um den See- wird am Morgen von den Anwohnern wunderbar angenommen und als Treffpunkt, für den Morgenwalk oder als öffentliche Waschstätte genutzt. |
drei alte Frauen waschen ihre Saris im eiskalten Wasser |
so einfach kann man wohnen- schon erschreckend! |
Mit Holz eines Baumes Namens 'Neem' werden die Zähne gereinigt, zu findem auf dem Wochenmarkt oder in einigen Gärten |
Marco (im blauen Kapuzenshirt) und seine Freunde - kennengelernt am Morgen |
auch die Kühe brauchen ihren Morgenwalk |
vier Schönheiten beim waschen und tratschen - die Unterröcke ihrer Saries zum Kleid gemacht |
Viel zu früh brach auch schon das richtige Leben wieder an,
immer mehr Menschen kam, winkten mich zu sich, wollten Fotos machen und immer
wieder die gleichen Fragen auf Hindi oder gebrochenen English stellen und einige unserer Schüler führen mit dem Fahrrad
vorbei am mir zur Schule. Das war auch das Zeichen für mich sich auf den
Rückweg zu machen, allen versichert noch mal wieder zu kommen und dann in ihrem
Haus zu essen, zum Abschied gewunken und schnell zurück zur Schule um sich in
der Küche etwas auf zu wärmen, warmen Tee und leckeres Frühstück zu genießen,
bevor die Schulglocke zur ersten Stunden läutet.
Impressionen aus einer ganz besonderen Zeit in einem Land
mit immer wieder neuen Gesichtern. Langsam wird es aber auch am morgen wieder
wärmer und auch am Abend braucht man keine Mütze mehr: Die Sommerzeit wartet-
und schreibt wieder neue Geschichten.
Namaste, bis bald und liebe Grüße
Eure Rebecca
Hallo Rebecca,
AntwortenLöschenDein wunderbarer Blogeintrag hat mich tief berührt. Ich werde dir mein Geld, das ich für die nächsten zwei Wochenenden bekomme überweisen. Du nimmst mich so herrlich mit auf deine Reise, läßt mich ein Stück weit in deine Erfahrungen blicken, und hast mit 19 Jahren mehr Erfahrung, als ich in 50 Jahren. Ich wünsche dir jeden Tag Kraft, Durchhaltevermögen und diese gehörige Portin Sensibilität und Liebe, die dich deine Welt so beschreiben läßt. Sicherlich hinterläßt du bei all den Menschen, die dir begegnen tiefe Spuren, ohne dass du es weißt. Gerade du als junge, gebildete, mutige Frau machst den Frauen dort Mut auf eine Zukunft mit Bildung, Erfahrung und Offenheit. Denke nicht, dass die Frauen nie Gelegenheit auf Bildung und Reisen haben, in 50 Jahren ändert sich die Welt unvorhersehbar und du hinterläßt Samenkörner. Ich hatte Klassenkameraden aus einem hessischen Dorf und die fragten: " Warum soll ich Englisch lernen?" Ich bleibe im Dorf führe die Lanbdwirtschaft weiter und spreche platt. Sie hätten nicht gedacht, dass sie mit ihren Kindern nach London fahren, oder dass einige Fachbücher nur in englisch geschreiben sind. Ihre Welt hat sich stärker verändert, als sie es sich damals vorstellen konnten.
Weiter so!
Brigitte
P:S: Bitte korrigiere die Überschrift, du meintest wohl Herzensangelegenheit.