Da war doch was...was ich noch zeigen wollte

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Samstag, 26. Oktober 2013

Reisen auf indisch I oder Wie ich mit dem Chattisgar Express Freundschaft schloss

Meine erste große Reise in Indien ging am 16. dieses Monats in die Berge. Zusammen mit 60 Schülern und einigen Lehrern war es zwar 'nur' eine Educational Tour, aber dazulernen will ich schließlich immer!


Schon früh trafen wir uns im indischen Morgennebel an der Busbahnhof um die Tagestour nach Raipur anzutreten, von dort unser Zug am Abend abfahren sollte. Aber wer sich einfach eine gemütlich Bustour vorstellt- nichts da. Zwar wurde das Gepäck nicht aufs Dach geschnallt (Gott sei dank), aber indisch ging es schon zu. Wir quetschten uns n die zwei bestellten Busse und es war überraschend gemütlich. Den huckeligen und wackelige Weg auf der Hauptstraße vorbei an endlichen kleineren und größeren Dörfern und natürlich wieder einer Menge Wald, verbrachte ich halb liegend, halb sitzend abgefedert von gemütlichen Matratzen, die in zwei Etagen an einer Seite des Busses genügend Platz zum chillen, spielen, spaßen, singen und schlafen boten.



Die meiste Zeit bei Reisen innerhalb Indien, musste ich jedoch bald feststellen, kann man am besten durch ’aus dem Fenster schauen’ und schlummern verbringen- lesen oder richtig unterhalten dank des ewigen Gewackels und der Lautstärke dank der ewigen offenen Tür einfach unmöglich! Mittagessen wurde dank hervorragender Organisation in einem sehr westlichen Ressort (welches nicht das einzige bleiben sollte) eingenommen, dass man u. a. auch für Hochzeiten und andere Partys mieten kann.

Tag 1 und mit bester Laune ins Abenteuer

immer wieder faszinierend: Dschungel soweit das Auge sieht


Am späten Nachmittag änderte sich die Aussicht und wir erreichten den Bahnhof der Staatshauptstadt Raipur. Mit vollen Straßen, Obstverkäufter, riesige Werbeschilder, Hotels und wunderschönem Wetter wurden wir empfangen und sofort ins Bahnhofsgebäude geleitet.
Und wieder wurden die Unterschiede in der Indischen Bevölkerung deutlich: Geschäftsmänner mit gebügelten, frischen Anzügen und Aktentaschen neben gestressten Müttern mit ungewaschenen Kleinkindern an der einen und einem notdürftig geflicktem Beutel mit Notwendigkeiten in der Anderen. Männer schoben Karren voller Obst und überall auf dem Boden boten Verkäufer Kofferschlösser und Schlösser mit langen Ketten an (wessen Bedeutung mir später noch bewusst wurde). Überraschenderweise war der Bahnhof sehr sauber und in dem Schlafraum alias Aufenthaltsraum (hieß aber wirklich sleep- room) schliefen eingepackt in bunte Tücher groß und klein neben ihren Bergen von Koffern, Metallkisten, Stofftaschen, Säcken und einfach zusammen geknoteten Tüchern.
Wir füllten unsere Wasserflaschen an einen der vielen öffentlichen Trinkwasserhähnen auf, schwitzten und passen darauf auf, dass kein Schüler im Trubel der ein- und ausfahrenden Züge verloren geht.
Aus dem Bus ins Städtegetrubel, Raipur
Farbenfroher Tempel direkt neben dem Bahnhof



 Wir warten in der Hitze auf unseren Zug, der uns in die
kühlen Berge bringen soll

 Als der Chattisgarh Express Nr. 18237 (sogar nahezu pünktlich) schließlich  einfuhrt und wir alle, zusammen mir endlichen anderen Passagieren eingestiegen waren, konnte ich die erste dreiviertel Stunde erstmal nur, mit meinem Tramperrucksack auf dem Rücken, eingequetscht zwischen Koffern, aufgeregten Schülern – die aber auf der Stelle neben ihren besten Freunden sitzen wollten- und alten Männern im Turban auf den schmalen, harten Bänken sitzen und abwarten bis sich der Trubel gelegt hatte. Nach und nach fanden alle Schüler den gewünschten Sitzplatz (wir waren über 5 verschiedene Wagons verteilt, was das ganze nicht gerade einfacher machte) und auch wir Lehrer konnten uns langsam entspannen und ich mich in Ruhe umsehen.
Die Wagons waren unterteilt in vielleicht 6 Abteile, wobei in jedem Abteil 8 Mann schlafen konnten. Parallel des schmalen Ganges gab es neben den vergitterten Fenstern zwei Schlaf-liegen übereinander, auf der breiteren Seite bildeten die unteren beiden Liegen ein gemütliches 6er Abteil für tagsüber, in der Nacht wurden neben den Schlafstädten an der eisernen Decke des Zuges noch zusätzlich, mit schmutzigen Kunstleder überzogenen bessere- Bretter auf Kopfhöhe ausgeklappt. An der Deck jedes Abteiles sorgten jeweils drei verstaubte Ventilatoren ergänzend zu den offenen Fenstern für Frischluft (wessen Bedeutung mir in der folgenden Nacht- ich schlief auf der obersten Liege- noch bewusst werden sollte) Im allgemeinen alles etwas beengend, alt, verrostet, schmutzig, quietschend, hart aber OK für eine Erfahrungsnacht- das Problem: wir würden zwei Nächte bis nach Amritsar im norden Indiens brauchen, und die gleichen Weg auch wieder zurück.

Menschen, Koffer, Schuhe, ...alles braucht seinen Platz

meine Schlafstädte, gemütlich nicht? ;)

Aber darüber machte ich mir erst einmal keine Gedanken- fürs Erste war alles ungewohnt, spannend und aufregend. Zusammen mit einer anderen Lehrerin quetschte ich mich zu den 5 Schülern der Klassen 6 bis 9, für die wir die Aufsicht hatten. Wir spielten gegenseitig ausfragen, ich erklärte ’Ich sehe was, was du nicht siehst’, und wir sangen englische, hindi und auch deutsche Lieder und als es schließlich später wurde und die Kinder entweder schön eingerollt in mitgebrachten Baumwollaken schlummerten oder sich (mehr oder weniger leise) Bettfertig machten, hatte ich etwas Zeit durch die schmalen Gänge zu wandern, ’Namaste’s zu verteilen und die Welt des indischen Zufahrens zu bestaunen.

bestens ausgerüstet mit Musik und Decken
lässt sich so ein Zugfahrt schon aushalten

die charmanten Damen im selben Abteil: es wurden Kekse verteilt
und gefragt (natürlich Zeichensprache) ob wir meine Liege
nicht teilen könnten, na, vielleicht nächstes mal ;)

Ein sehr großes Problem ist, wie auch im restlichen Indien, der Müll. Nach dem Abendessen (sehr lecker aus Reis, Dahl, Chapatti und anderen Zutaten aus der Zugküche für alle Schüler bestellt und einzeln in Aluschalen verpackt) wurde, wegen fehlenden Mülleimern im gesamten Zug, der ganze Abfall einfach aus dem Fenster geworfen. Mich hat der Anblick aus dem Fenster schockiert: Vor einer wunderschönen Kulisse aus kleinen Häusern und (wenigstens Anfangs) vor allem weiten Reisfeldern lagen ,über eine Fläche von mehreren Metern verstreut,  Plastiktüten, Chipstüten, Zeitungspapier, Plastikflaschen und sonst alle möglichen Güter täglichen Gebrauchs und an manchen Stellen türmten sich ganze Müllberge neben den Gleisen. Ich verstaute erst einmal meinen Müll (der sich einfach nicht vermeiden lässt bei einer 2 tägigen Zugfahrt) unter dem Sitz und brachte ihn gesammelt an den verschiedenen Stationen raus, die erstaunlicher weise von endlichen Arbeitern sehr sauber gehalten wurden. Nicht gut heißen aber auch nicht verurteilen könnte ich meine Mitreisenden die alles aus dem Fenster warfen, direkt neben die Reisfelder die die Menschen ernähren- aber es gab einfach keine andere Möglichkeit für diese Masse von Abfall.

in der Zugküche wird frisch gekocht- vor allem Tee,
der mit lautem Geklapper alle 5 min am Platz angeboten wurde

 alte Frauen, Kinder, 'Zauberer' und Intersexuelle sammelt Geld und Essen


Nach meiner Entdeckungstour und nachdem ich sämtlichen Schülern eine gute Nacht gewünscht hatte (der halbe Zug schlief schon) , überkam auch mich die Müdigkeit nach dem Trubel und den Anstrengungen des Tages, ich suchte mein Bettlaken und eine dünne Decke aus dem Koffer, der neben einem einfachen Kofferschloss noch zusätzlich mit einer Kette unter der untersten Sitzbank gesichert wurde und machte mich mit meiner Zahnbürste und einer Packung Tempos auf zur Zugtoilette- vorstellbar aus einer Mischung aus deutschem Raststättenklo und den typisch indischen Toiletten mit nur einem Loch im Boden und zwei Hervorhebungen für die Füße links und rechts. Man kann sich vorstellen, das es meine schnellste Katzenwäsche war und Gott sei dank hatte ich noch im letzten Moment meine deutschen Feuchttücher in den Koffer geworfen, die von dieser Reise nicht mehr weg zu denken sind.

Unter der Decke wechselte ich schnell meine Kleidung (und damit war ich so etwa die einzige) und lag dann, einen halben Meter von der Eisendecke entfernt und 3 Meter über dem schmutzigen, von Schuhen voll gestellten Zugboden, unter- natürlich kaputten- verstaubten Ventilatoren auf einer, vielleicht 4 cm dicken, harten Matte, hörte das schnauben des Mannes neben mir durch die dünne Abteilabtrennung, neben meinem Kopf (als ob es nicht schon eng genug wäre) mein Handgepäck sicher verstaut. So sollten wir noch den nächsten Tag und eine weitere Nacht durch die verschiedenen Vegetationen Richtung Himalaja fahren und schließlich schlief auch ich ein, mit lauter Vorfreude auf die kommenden Tage, zwischen Schülern auf ihrer ersten Reise, Müttern mit ihren Säuglingen, grauen Omis und alten Männern in weißen Gewändern.

Namaste und die Fortsetzung folgt bald (versprochen!)
eure reisende Rebecca

Donnerstag, 24. Oktober 2013

100 Tage

Von tausend Erfahrungen die wir machen, bringen wir höchstens eine zur Sprache, und auch dieses bloß zufällig und ohne die Sorgfalt, die sie verdient hätte. Unter all den stummen Erfahrungen sind diejenigen verborgen, die unserem Leben unbemerkt seine Form, seine Färbung und seine Melodie geben.
(Danke Mama, immer wieder)



Einige Fakten

  • Verlorene Stifte: 4
  • Blogeinträge: 20
  • Mückenstiche: mindestens 7400
  • Skyp-minuten: 961
  • Liter Sprite oder andere Süßgetränke: 7
  • Toilettenpapierrollen: 6 (weiß auch nicht warum ich die sammele- vielleicht weil Toilettenpapier hier schrecklich teuer und selten ist)
  • Pakete Zahnpaste: 1,5 (und ich musste nicht einmal meine Marke ändern- Colgate ist hier zwar vergleichsweise teuer aber erhältlich)
  • Deutsche Kuchen:3 mal Apfelkuchen, 1 mal Schokokuchen ;)
  • Indische Kuchen: schon viel zu viele schrecklich süße Sahnekuchen: Wenn ein Schüler Geburtstag hat, kommt es schon einmal vor, dass er mit Kuchen durch alle Klassen geht und Kuchen an die Lehrer verteilt
  • Tage im Sari: 5
  • Ferientage: 11
  • Indische Hochzeiten: 1 (aber bald hoffentlich meine 2.)
  • Ausgaben: 280€
  • Neue Kleidungsstücke: 5 Suits (bestehend aus Hose, Lange Bluse und Schal), 2 Saries, 1 Oberteil, 1 Strickjacke, 1 Paar Socken, 1 Schal, 2 Paar Flip Flops
  • Schlaflose Nächte: 4
  • Kg Äpfel:…bin hat doch Deutsche, obwohl ich hier eigentlich mehr Bananen essen sollte
  • Tiefpunkte: 3
  • Hochpunkte: unzählbar
  • Hände geschüttelt: soviel kann ich sagen- darin bin ich jetzt bestimme Meister
  • Angelächelt worden: 100000000000000000000000000000000000000
  • Lächeln verteilt: das ist eines der wenigen Dinge, die ich den Leuten hier geben kann…
  • Gupshup gegessen: Gupshup bekommt man an jeder Straßenecke für 10 Rupees (ca. 17 ct), es besteht aus einer dünnen Teigbällchen gefüllt mit Kartoffel- Bohnenmasse, verschiedenen Soßen und auf Wunsch Zwiebel- einfach unglaublich lecker!
  • Verkehrsmittel: Auto, Jeep, Motorritschka (auto), Skooter, Flugzeug, Motorrad, Bus, Zug
  • „Good morning, mam“:täglich ca. 50
  • Blogleser: in 10 Ländern (wundert mich ein bisschen- warum liest ein Ukrainer einen Deutsch-Indischen Blog?)
  • Liebe Mails: 75
  • Tee: bestimmt 400 kleine Tassen :O
  • Indische Feste: Friendship Day, Id-ul-Fitr, Independence day, Raksha Bandhan, Janamashtami, Teachers day, Bishops Weihe, Gandis Geburtstag, Dashera, Vijay Dashimi, Bahar Rani, Geburtstag von Direktor
  • Verschiedene Dörfer: Viele- aber lange noch nicht genug!
  • Hindiwörter gelernt: 134
  • Verschiedene Schlafstädte: 4
  • Tonnen Reis: 2mal täglich- da könnt ihr mal selber rechnen
  • Neue Handykontakte: 27 (sogar von meinem Lieblingsobsthändler, nur falls ich mal irgendein Problem habe J)
  • Kinobesuche: 2




Und an dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei all meinen Bloglesern bedanken. Ihr gebt mir immer wieder Kraft und Mut weiter zu machen und ich hoffe, ich kann ein kleines bisschen von meiner Faszination für diesen fremden Ort auf euch übertragen. Danke!