Indien ist DAS Land der Gegensätze: Wenn ich behaupte, ich
lebe hier in einer großen Stadt ist das wirklich gelogen- für indische
Verhältnisse ist Jagdalpur gerade mal eine Kleinstadt, aber die Tatasche das
sie mitten im Dschungel liegt lässt sie deutlich an hervorstechen. Von dem
genauen Gegenteil- dem indischen Dorf- durfte ich mit ein Bild machen:
Pünktlich (oder wenigstens fast) brechen wir nach der Schule
auf um in das Heimatdorf von Vater Theo (Verbindungsquelle zwischen Fahrgemeinde
St. Nikomedes und Indien) zu besuchen. Zwei Tage soll der Trip dauern von dem
ich auch erst in letzter Minute erfahren habe, und weit hinaus- wenigstens
gedanklich gesehen- soll es gehen.
Das erste Stückchen der 90 km langen Strecke brausen wir mit
dem geliehenen Jeep samt Fahrer über die recht guten Nationalen Highway, in
einen kleinen Städtchen das wir durchfahren decken wir uns mit kalten Getränken
und indischem Knabberzeug ein und immer wieder tauchen kleine bis riesige
Baustellen und halbfertige Schulkomplexe auf. Nach etwa 40 Minuten ändern sich
jedoch die Straßenverhältnisse rapide und ich verstehe warum wir den Jeep
genommen haben: Die Straße ist von riesigen Pfützen unterbrochen, die sich nach
der langen Monsumzeit in den Löchern des Straßenbelages gebildet haben, immer wieder
hört die geteerte Straße schlagartig auf und wir müssen uns unseren Weg durch
Schlammberge bahnen. Und wir haben Glück- einige entgegenkommende Mofa und
Fahrräder haben es sichtlich schlechter getroffen wenn ich sehe, wie das
Schlammwasser zu beiden Seiten bis ans Dach des Jeeps spritzt.
Und auch die Aussicht verändert sich: Die Dörfer und
Reisfeldern weichen nun dichtem Wald und als ich frage wie dieser Wald genannt
wird bekomme ich die Antwort: Jungle- das Wort stemmt sogar aus der Sprache
Hindi und wurde irgendwann ins englische übernommen. (Danach muss ich die ganze
an das Mogli und das Dschungelbuch denken) Ich erfahre das wir kurz Rast auf
einer Farm machen, die von zwei Vätern betrieben wird, bevor wir das letzte
Stück zum Dorf und der, von der Pfarrgemeinde St. Nikomedes unterstützten
Schule zurücklegen. Weiterhin erfahre ich das in der Nähe dieser Farm noch vor
einer Woche in der Abenddämmerung ein Tiger am Straßenrand gesichtet wurde- der
allerdings die Lichtkegel des Autos wohl nicht besonders mochte- wahnsinnig,
aber ich bin trotzdem froh das wir jetzt, da gerade die Dämmerung hereinbricht
uns wieder auf den Weg machen.
Das letzte Stück werden wir noch einmal kräftig
durchgeschüttelt, aber ich genieße- mich am Haltegriff festklammernd- die fantastische
Aussicht: Die Sonne strahl mit ihrer letzen Kraft tief am Horizont vor uns,
Schulkinder mit ihren Uniformen der staatlichen Schulen spielen auf den freien
Flächen der kleinen Dorfern, die sich immer wieder zwischen den Bäumen auftun,
kleine Bäche finden ihren weg durch den roten Boden und Männer mit nicht viel
mehr als einem Tuch um die Hüften waschen sich an den öffentlichen Wasserhähnen
am Straßenrand. Zwischendurch kommt uns ein großen, kunstvoll angemalter
Lastwagen entgegen, beladen mit Steinen, Hühnern oder sonst was. Das letzte
Stück zur Farm von Theos Eltern müssen wir laufen, nachdem wir den Jeep einfach
mitten auf einen kleinen Feldweg abgestellt haben.
Es ist wahnsinnig spannend in der Dämmerung
durch hohes Graß irgendwo in Mittelindien zu stapfen, um mich herum wieder
Reisfelder und Viehweiden, nicht zu wissen was man gleich zu sehen bekommt und
wo man die Nacht verbringen wird. Nach ca. 300 Metern erreichen wir einen
kleines Tor, dahinter ein Lehmbedeckter Platz unter einem großen Baum. Zu zwei
Seiten stehen Lehmhütten mit bunten Vorhängen vor den Türöffnungen, ein
hölzerner, mit Stroh gefüllter Unterstellplatz für Kühe (inc. Kühe) bildet
einen gemütlichen Innenhof. Eine junge Frau mit einen kleinen Kind auf dem Arm
kommt aus einer der Hütten, dahinter eine ältere frau- Theos Mutter. Total
herzlich werden wir begrüßt und ich kann meine Begrüßungsformeln: Hallo, mein
Name ist Rebecca. Wie geht es dir? Ich unterrichte an der Schule. Zum Besten
geben und ernte damit verschmitzte Blicke. Auch Theos Vater ist gekommen- in
Shirt und einem Baumwolltuch und die Hüften bringt er einige Plastikstühle und
einen kleinen Plastiktisch und stellt ihn in die Mitte unter den alten Baum.
Ein perfekter Frühstücksplatz, denke ich, für Ferien auf einer indischen Farm
und bemerke, dass ich das erste Mal seit zwei Monaten einen Platz im Freien
angeboten bekomme. Leider bin ich mit meinem Hindi jetzt schon am Ende und so
muss mir Vater Santhos alles Übersetzen, bis
Theos Bruder, ein Lehrer von der benachbarten Schule, in Jeans und Pulli
kommt und sich zu seiner Frau und seinem kleinen Sohn stellt.
Leider müssen wir schon wieder weiter und so verabschiede
ich mich nach einer Tasse Tee von dieser wirklich netten kleinen Familie.
Zum Abendessen fahren wir im Stockdüsteren ein Stückchen
weiter zu einem Hostel für Jungen, das neben der genannten Schule liegt. Ca. 40
Jungen im Alter von 5 bis 15 Jahren werden von 3 Vätern, einem Bruder und
einigen Köchinnen betreut und Verpflegt. Noch sitzen alle auf dem Boden oder
auf Stühlen und Pritschen zur abendlichen Studdyzeit und ich gehe in der Küche
schauen ob ich irgendetwas helfen kann. Ich staune nicht schlecht über die
riesige, mit Gas betriebene Kochstelle, an der Vater Thomas gerade (extra und ausschließlich
für uns)im halbdunklen Hähnchen
frittiert und auch die anschließende Vorradskammer mit einem riesigen Sack voll
Zwiebeln und allerlei weiterem Gemüse beeindruckt mich mächtig. Ich übe mich,
nachdem ich Angst hatte beim Frittieren dieser besonderen Farmhühner wegen den
Schlechten Lichtverhältnissen etwas falsch zu machen (es war einfach nur
stockdüster in der Ecke), unter den strengen Blicken und dem Grinsen der
Küchenmädchen im Chapatti- machen.
Danach folgt eine halbe Stunde Gebetszeit für die Jungs und
ich lausche, am Türrahmen stehend, zuerst dem andächtigen Gesang der auf dem
Boden sitzenden Jungen und anschließend von Trommeln begleitet rhythmischen
Versen in dem kleinen Kirchenraum des Hostles. Nach dem Essen wundere ich mich,
als die Jungen, einer nach dem Anderen mit einem „Good night mam“ wieder im
Studdyzimmer verschwinden und mir wird erklärt, das nach dem Abendessen von
halb neun bis neun noch mal gearbeitet wird, bevor es dann zu Bett geht (ganz
schön Diszipliniert, diese Inder).
Danach geht es zum letzten Ziel und Schlaffstätte für diese
Nacht: ein weiteres Hostel auf der anderen Seite des Dorfes. Als der Jeep im
dunklen durch ein Tor fährt, irgendwann stehen bleibt, und ich meine kleine
Tasche, hauptsächlich gefüllt mit Zahnbürste und Mückenspray nahm, stehen wir
erst einmal ein bisschen blöd in der Gegend rum: keiner da, wo soll ich hin?
Und was erwartet mich? Ein Zimmer zusammen mit dem Vater, mit Schwestern?
Hoffentlich gibt es ein Moskitonetz! Ich habe keine Ahnung!
Aber es kommt ganz wunderbar: Zwei Schwestern holen mich ab,
die ein kleines Haus neben dem Hostel bewohnen, die Väter schlafen woanders.
Das Haus ist ziemlich schön, in der Mitte gibt es einen kleinen, bewachsenen
Innenhof, drum herum führt überdachter Rundgang von dem die Zimmer abgehen. Mein
Zimmer gehört irgendeiner Schwester, die im Moment nicht da ist und das Bad ist
auf dem Flur. Vor dem Zubettgehen rede ich noch ein wenig mit den Schwestern:
die eine ist Krankenschwester, war für einige Zeit in Deutschland und kann
deswegen ziemlich gut deutsch, die andere arbeitet in der Schule die wir uns
morgen noch etwas genauer ansehen werden.
Nach einer durchwachsenden Nacht (ein Hundezwinger ist neben
meinem Fenster, ein Baby im Nachbarhaus wollte wohl nicht schlafen, das
Umdrehen im Bett war mit Vorsicht zu genießen und der Hahn um halb 4 hatte das
restliche getan) stehe ich dennoch am nächsten Morgen- nachdem ich ein wenig
den Gesängen der Schwestern in der hauseigenen Kapelle gelauscht hatte und
ratsächlich noch einmal eingeschlafen war- um 6 Uhr voller Tatendrang und
Vorfreude auf den Tag auf und finde, nach einigen verdutzten und
verständnislosen Blicken der Köchin, die Schwestern, die Väter und ein Haufen
Jungen und Mädchen in einer kleinen Kirche neben dem Hauptplatz. Die
morgendliche messe wird diesmal von vier anstatt von 2 Vätern gehalten und die
Jungen und Mädchen- ordentlich in Reihen, links die Jungen, rechts die Mädchen-
singen laut die Kirchenlieder auf Hindi mit.
Nach dem Gottesdienst (um 7 Uhr wohlgemerkt!!) gibt es eine
kleine Vorstellungsrunde und Begrüßungslieder. Alle Kinder haben (indem sie
wahrscheinlich den gesamten Garten ausgerupft haben) einige Wildblumen für
mich, die sie mir- einer nach dem anderen überreichen- als Gegenzug gibt es
eine Runde Süßigkeiten. Als ich zusammen mit den Vätern zu einen weiteren
Gebäude zum Frühstück laufe sehe ich alle Jungen den Platz vor ihrem Haus mit-
aus Steckern improvisierten Besen- die Blätter zusammenkehren. Die Kinder gehen
auf eine Hindi- Medium- School und haben zu 90 % ihre Eltern noch, diese leben
nur einfach in den Dörfern zerstreut zu weit weg, sodass die Kinder ab dem
Kindergarten im Hostel leben.
Ganz schön beeindrucken wie die kleinen Jungen schon am
frühen morgen nach der einstündigen Messe erst noch ihren Hof fegen, bevor es
dann zum gemeinschaftlichen Frühstück nach draußen unter die Bäume geht!
Nach meinen eigenen Frühstück, das sogar aus Weißbrot und
Marmelade besteht (Warum auch immer alle denke, sie müssten extra für den
deutschen Gast von ihren gewöhnlichen Essgewohnheiten abweichen- ich bin echt
ein Fan des indischem Essens geworden!) bekomme ich eine kleine Führung durch
die benachbarte Schule. Der Unterricht fängt um 9 Uhr an und pünktlich ertönt
aus den Lautsprechern die indische Nationalhymne gefolgt von der Stimme einer 8
Klässlerin, die das Gelübde vorließt, das alle Schüler mit vorgestrecktem Arm
nachsprechen. Die Schule besteht aus 9 Klassen: vom Kindergarten bis zur 8.
Klasse und würde mitfinanziert von der Pfarrgemeinde St. Nikomedes. Daran
erinnert eine Tafel am Eingang die, da auf Deutsch, ich erst einmal für die
doch ziemlich interessierten Schüler übersetzt habe. Die meisten Schüler der
unterschiedlich großen Klassen (in der Klasse 8 sind nur 16 Schülerinnen und
Schüler- ein Traum für jeden Lehrer) wohnen im Hostel, da ihr Elternhaus in
Dörfern zu weit von der Schule weg ist, die meisten Eltern keine Chance haben
ihre Kinder morgens zur Schule zu fahren und auch die Verkehrswege nicht gerade
optimal sind, einige kommen aber auch aus den direkt anliegenden Dörfern. Das
einige Klassen nur so klein sind zeigt ein großes Problem der Privaten Schulen
in dieser Gegend: Trotz einer Schulgebühr von gerade mal 300 ₨ (das sind nicht
mal 5 Euro) sind die Eltern- meist Farmer- zu arm um diese zu bezahlen oder
sehen es nicht ein, wenn es auch die Möglichkeit gibt ihre Kinder auf eine
kostenlose Staatliche Schule zu schicken (die aber leider nicht die nötige
Bildung geben kann, wie mir ein Vater erklärt). Bei der Besichtigung einiger Klassen kann ich mir ein Bild von der
Disziplin und Qualität des Unterrichts machen. Die Schüler erklären mir ihr
aktuelles Thema, stellen Fragen zu meiner reise und meiner Heimat Deutschland-
die ich so gut es geht zu beantworten versuche (kann mir mal bitte eine das
nationale Wassertier Deutschlands nennen). Es ist echt ein schöner Besuch der
mir klar macht, dass ich dieses Jahr unbedingt noch einige Zeit in ländlicher
Gegend arbeiten möchte!
Auf dem Rückweg machen wir Mittagspause auf der Farm, die
wir am Vortag schon einmal kurz gesehen haben. Zur Farm gehören ein
Maschinenhäuschen, eine kleine Bananenplantage, ein künstlich angelegten Fischsee,
einige andere Nutzpflanzen, einige Hühner und Ziegen, weite Reisfelder und eine
kleine Arztpraxis in der ein Vater kostenlos (nur die bestellten Medikamente
müssen bezahlt werden) die Dorfbewohner behandelt. Bei dem Gang durch die
Bananenbäume sahen wir plötzlich einen Frosch in den anliegenden Teich
springen. Vater Santhos drehte sich zu mir um und fragte ganz unvermittelt: „Do
you like frog?“ Ah, keine Ahnung antwortete ich, ich habe noch nie welchen
probiert, würde es aber auch nicht abschlagen wenn man mir welchen anbietet,
ganz nach meinem Motto, dass ich dieses Jahr alles mindestens einmal probiere.
Darum fragte ich die Gleiche frage zurück und bekam ein zustimmendes Nicken und
die Antwort, dass unsere Köchin Sita erst gestern Mittag Frosch zubereitet
hatte. Oh, das wusste ich nicht, (zwar, viel mir ein, hatte ich gestern
auswärts gegessen) aber seitdem frage ich bei jedem Fleischgericht auf dem
Tisch lieber zweimal nach!
Namaste und liebe Grüße von ,der immer wieder staunenden
Rebecca