Da war doch was...was ich noch zeigen wollte

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Montag, 30. September 2013

Vom Dschungel, Hähnen und leckeren Fröschen

Indien ist DAS Land der Gegensätze: Wenn ich behaupte, ich lebe hier in einer großen Stadt ist das wirklich gelogen- für indische Verhältnisse ist Jagdalpur gerade mal eine Kleinstadt, aber die Tatasche das sie mitten im Dschungel liegt lässt sie deutlich an hervorstechen. Von dem genauen Gegenteil- dem indischen Dorf- durfte ich mit ein Bild machen:

Pünktlich (oder wenigstens fast) brechen wir nach der Schule auf um in das Heimatdorf von Vater Theo (Verbindungsquelle zwischen Fahrgemeinde St. Nikomedes und Indien) zu besuchen. Zwei Tage soll der Trip dauern von dem ich auch erst in letzter Minute erfahren habe, und weit hinaus- wenigstens gedanklich gesehen- soll es gehen.
Das erste Stückchen der 90 km langen Strecke brausen wir mit dem geliehenen Jeep samt Fahrer über die recht guten Nationalen Highway, in einen kleinen Städtchen das wir durchfahren decken wir uns mit kalten Getränken und indischem Knabberzeug ein und immer wieder tauchen kleine bis riesige Baustellen und halbfertige Schulkomplexe auf. Nach etwa 40 Minuten ändern sich jedoch die Straßenverhältnisse rapide und ich verstehe warum wir den Jeep genommen haben: Die Straße ist von riesigen Pfützen unterbrochen, die sich nach der langen Monsumzeit in den Löchern des Straßenbelages gebildet haben, immer wieder hört die geteerte Straße schlagartig auf und wir müssen uns unseren Weg durch Schlammberge bahnen. Und wir haben Glück- einige entgegenkommende Mofa und Fahrräder haben es sichtlich schlechter getroffen wenn ich sehe, wie das Schlammwasser zu beiden Seiten bis ans Dach des Jeeps spritzt.
Und auch die Aussicht verändert sich: Die Dörfer und Reisfeldern weichen nun dichtem Wald und als ich frage wie dieser Wald genannt wird bekomme ich die Antwort: Jungle- das Wort stemmt sogar aus der Sprache Hindi und wurde irgendwann ins englische übernommen. (Danach muss ich die ganze an das Mogli und das Dschungelbuch denken) Ich erfahre das wir kurz Rast auf einer Farm machen, die von zwei Vätern betrieben wird, bevor wir das letzte Stück zum Dorf und der, von der Pfarrgemeinde St. Nikomedes unterstützten Schule zurücklegen. Weiterhin erfahre ich das in der Nähe dieser Farm noch vor einer Woche in der Abenddämmerung ein Tiger am Straßenrand gesichtet wurde- der allerdings die Lichtkegel des Autos wohl nicht besonders mochte- wahnsinnig, aber ich bin trotzdem froh das wir jetzt, da gerade die Dämmerung hereinbricht uns wieder auf den Weg machen.




Das letzte Stück werden wir noch einmal kräftig durchgeschüttelt, aber ich genieße- mich am Haltegriff festklammernd- die fantastische Aussicht: Die Sonne strahl mit ihrer letzen Kraft tief am Horizont vor uns, Schulkinder mit ihren Uniformen der staatlichen Schulen spielen auf den freien Flächen der kleinen Dorfern, die sich immer wieder zwischen den Bäumen auftun, kleine Bäche finden ihren weg durch den roten Boden und Männer mit nicht viel mehr als einem Tuch um die Hüften waschen sich an den öffentlichen Wasserhähnen am Straßenrand. Zwischendurch kommt uns ein großen, kunstvoll angemalter Lastwagen entgegen, beladen mit Steinen, Hühnern oder sonst was. Das letzte Stück zur Farm von Theos Eltern müssen wir laufen, nachdem wir den Jeep einfach mitten auf einen kleinen Feldweg abgestellt haben.


Es ist wahnsinnig spannend in der Dämmerung durch hohes Graß irgendwo in Mittelindien zu stapfen, um mich herum wieder Reisfelder und Viehweiden, nicht zu wissen was man gleich zu sehen bekommt und wo man die Nacht verbringen wird. Nach ca. 300 Metern erreichen wir einen kleines Tor, dahinter ein Lehmbedeckter Platz unter einem großen Baum. Zu zwei Seiten stehen Lehmhütten mit bunten Vorhängen vor den Türöffnungen, ein hölzerner, mit Stroh gefüllter Unterstellplatz für Kühe (inc. Kühe) bildet einen gemütlichen Innenhof. Eine junge Frau mit einen kleinen Kind auf dem Arm kommt aus einer der Hütten, dahinter eine ältere frau- Theos Mutter. Total herzlich werden wir begrüßt und ich kann meine Begrüßungsformeln: Hallo, mein Name ist Rebecca. Wie geht es dir? Ich unterrichte an der Schule. Zum Besten geben und ernte damit verschmitzte Blicke. Auch Theos Vater ist gekommen- in Shirt und einem Baumwolltuch und die Hüften bringt er einige Plastikstühle und einen kleinen Plastiktisch und stellt ihn in die Mitte unter den alten Baum. Ein perfekter Frühstücksplatz, denke ich, für Ferien auf einer indischen Farm und bemerke, dass ich das erste Mal seit zwei Monaten einen Platz im Freien angeboten bekomme. Leider bin ich mit meinem Hindi jetzt schon am Ende und so muss mir Vater Santhos alles Übersetzen, bis  Theos Bruder, ein Lehrer von der benachbarten Schule, in Jeans und Pulli kommt und sich zu seiner Frau und seinem kleinen Sohn stellt.
Leider müssen wir schon wieder weiter und so verabschiede ich mich nach einer Tasse Tee von dieser wirklich netten kleinen Familie.


Zum Abendessen fahren wir im Stockdüsteren ein Stückchen weiter zu einem Hostel für Jungen, das neben der genannten Schule liegt. Ca. 40 Jungen im Alter von 5 bis 15 Jahren werden von 3 Vätern, einem Bruder und einigen Köchinnen betreut und Verpflegt. Noch sitzen alle auf dem Boden oder auf Stühlen und Pritschen zur abendlichen Studdyzeit und ich gehe in der Küche schauen ob ich irgendetwas helfen kann. Ich staune nicht schlecht über die riesige, mit Gas betriebene Kochstelle, an der Vater Thomas gerade (extra und ausschließlich für uns)im halbdunklen  Hähnchen frittiert und auch die anschließende Vorradskammer mit einem riesigen Sack voll Zwiebeln und allerlei weiterem Gemüse beeindruckt mich mächtig. Ich übe mich, nachdem ich Angst hatte beim Frittieren dieser besonderen Farmhühner wegen den Schlechten Lichtverhältnissen etwas falsch zu machen (es war einfach nur stockdüster in der Ecke), unter den strengen Blicken und dem Grinsen der Küchenmädchen im Chapatti- machen.
Danach folgt eine halbe Stunde Gebetszeit für die Jungs und ich lausche, am Türrahmen stehend, zuerst dem andächtigen Gesang der auf dem Boden sitzenden Jungen und anschließend von Trommeln begleitet rhythmischen Versen in dem kleinen Kirchenraum des Hostles. Nach dem Essen wundere ich mich, als die Jungen, einer nach dem Anderen mit einem „Good night mam“ wieder im Studdyzimmer verschwinden und mir wird erklärt, das nach dem Abendessen von halb neun bis neun noch mal gearbeitet wird, bevor es dann zu Bett geht (ganz schön Diszipliniert, diese Inder).
Danach geht es zum letzten Ziel und Schlaffstätte für diese Nacht: ein weiteres Hostel auf der anderen Seite des Dorfes. Als der Jeep im dunklen durch ein Tor fährt, irgendwann stehen bleibt, und ich meine kleine Tasche, hauptsächlich gefüllt mit Zahnbürste und Mückenspray nahm, stehen wir erst einmal ein bisschen blöd in der Gegend rum: keiner da, wo soll ich hin? Und was erwartet mich? Ein Zimmer zusammen mit dem Vater, mit Schwestern? Hoffentlich gibt es ein Moskitonetz! Ich habe keine Ahnung!
Aber es kommt ganz wunderbar: Zwei Schwestern holen mich ab, die ein kleines Haus neben dem Hostel bewohnen, die Väter schlafen woanders. Das Haus ist ziemlich schön, in der Mitte gibt es einen kleinen, bewachsenen Innenhof, drum herum führt überdachter Rundgang von dem die Zimmer abgehen. Mein Zimmer gehört irgendeiner Schwester, die im Moment nicht da ist und das Bad ist auf dem Flur. Vor dem Zubettgehen rede ich noch ein wenig mit den Schwestern: die eine ist Krankenschwester, war für einige Zeit in Deutschland und kann deswegen ziemlich gut deutsch, die andere arbeitet in der Schule die wir uns morgen noch etwas genauer ansehen werden.
 
Ich glaube ich mache mir zur Gewohnheit alle meine Zimmer dieses Jahr zu fotografieren.
Hier die Variante: gemütliches, kleines Farmzimmer, inc. Taschenlampe
 für den Weg aufs Klo, Moskitonetz im Gesicht und wunderbare Träume

Nach einer durchwachsenden Nacht (ein Hundezwinger ist neben meinem Fenster, ein Baby im Nachbarhaus wollte wohl nicht schlafen, das Umdrehen im Bett war mit Vorsicht zu genießen und der Hahn um halb 4 hatte das restliche getan) stehe ich dennoch am nächsten Morgen- nachdem ich ein wenig den Gesängen der Schwestern in der hauseigenen Kapelle gelauscht hatte und ratsächlich noch einmal eingeschlafen war- um 6 Uhr voller Tatendrang und Vorfreude auf den Tag auf und finde, nach einigen verdutzten und verständnislosen Blicken der Köchin, die Schwestern, die Väter und ein Haufen Jungen und Mädchen in einer kleinen Kirche neben dem Hauptplatz. Die morgendliche messe wird diesmal von vier anstatt von 2 Vätern gehalten und die Jungen und Mädchen- ordentlich in Reihen, links die Jungen, rechts die Mädchen- singen laut die Kirchenlieder auf Hindi mit.
Nach dem Gottesdienst (um 7 Uhr wohlgemerkt!!) gibt es eine kleine Vorstellungsrunde und Begrüßungslieder. Alle Kinder haben (indem sie wahrscheinlich den gesamten Garten ausgerupft haben) einige Wildblumen für mich, die sie mir- einer nach dem anderen überreichen- als Gegenzug gibt es eine Runde Süßigkeiten. Als ich zusammen mit den Vätern zu einen weiteren Gebäude zum Frühstück laufe sehe ich alle Jungen den Platz vor ihrem Haus mit- aus Steckern improvisierten Besen- die Blätter zusammenkehren. Die Kinder gehen auf eine Hindi- Medium- School und haben zu 90 % ihre Eltern noch, diese leben nur einfach in den Dörfern zerstreut zu weit weg, sodass die Kinder ab dem Kindergarten im Hostel leben.
Ganz schön beeindrucken wie die kleinen Jungen schon am frühen morgen nach der einstündigen Messe erst noch ihren Hof fegen, bevor es dann zum gemeinschaftlichen Frühstück nach draußen unter die Bäume geht!

Nach meinen eigenen Frühstück, das sogar aus Weißbrot und Marmelade besteht (Warum auch immer alle denke, sie müssten extra für den deutschen Gast von ihren gewöhnlichen Essgewohnheiten abweichen- ich bin echt ein Fan des indischem Essens geworden!) bekomme ich eine kleine Führung durch die benachbarte Schule. Der Unterricht fängt um 9 Uhr an und pünktlich ertönt aus den Lautsprechern die indische Nationalhymne gefolgt von der Stimme einer 8 Klässlerin, die das Gelübde vorließt, das alle Schüler mit vorgestrecktem Arm nachsprechen. Die Schule besteht aus 9 Klassen: vom Kindergarten bis zur 8. Klasse und würde mitfinanziert von der Pfarrgemeinde St. Nikomedes. Daran erinnert eine Tafel am Eingang die, da auf Deutsch, ich erst einmal für die doch ziemlich interessierten Schüler übersetzt habe. Die meisten Schüler der unterschiedlich großen Klassen (in der Klasse 8 sind nur 16 Schülerinnen und Schüler- ein Traum für jeden Lehrer) wohnen im Hostel, da ihr Elternhaus in Dörfern zu weit von der Schule weg ist, die meisten Eltern keine Chance haben ihre Kinder morgens zur Schule zu fahren und auch die Verkehrswege nicht gerade optimal sind, einige kommen aber auch aus den direkt anliegenden Dörfern. Das einige Klassen nur so klein sind zeigt ein großes Problem der Privaten Schulen in dieser Gegend: Trotz einer Schulgebühr von gerade mal 300 ₨ (das sind nicht mal 5 Euro) sind die Eltern- meist Farmer- zu arm um diese zu bezahlen oder sehen es nicht ein, wenn es auch die Möglichkeit gibt ihre Kinder auf eine kostenlose Staatliche Schule zu schicken (die aber leider nicht die nötige Bildung geben kann, wie mir ein Vater erklärt). Bei der Besichtigung  einiger Klassen kann ich mir ein Bild von der Disziplin und Qualität des Unterrichts machen. Die Schüler erklären mir ihr aktuelles Thema, stellen Fragen zu meiner reise und meiner Heimat Deutschland- die ich so gut es geht zu beantworten versuche (kann mir mal bitte eine das nationale Wassertier Deutschlands nennen). Es ist echt ein schöner Besuch der mir klar macht, dass ich dieses Jahr unbedingt noch einige Zeit in ländlicher Gegend arbeiten möchte!


Auf dem Rückweg machen wir Mittagspause auf der Farm, die wir am Vortag schon einmal kurz gesehen haben. Zur Farm gehören ein Maschinenhäuschen, eine kleine Bananenplantage, ein künstlich angelegten Fischsee, einige andere Nutzpflanzen, einige Hühner und Ziegen, weite Reisfelder und eine kleine Arztpraxis in der ein Vater kostenlos (nur die bestellten Medikamente müssen bezahlt werden) die Dorfbewohner behandelt. Bei dem Gang durch die Bananenbäume sahen wir plötzlich einen Frosch in den anliegenden Teich springen. Vater Santhos drehte sich zu mir um und fragte ganz unvermittelt: „Do you like frog?“ Ah, keine Ahnung antwortete ich, ich habe noch nie welchen probiert, würde es aber auch nicht abschlagen wenn man mir welchen anbietet, ganz nach meinem Motto, dass ich dieses Jahr alles mindestens einmal probiere. Darum fragte ich die Gleiche frage zurück und bekam ein zustimmendes Nicken und die Antwort, dass unsere Köchin Sita erst gestern Mittag Frosch zubereitet hatte. Oh, das wusste ich nicht, (zwar, viel mir ein, hatte ich gestern auswärts gegessen) aber seitdem frage ich bei jedem Fleischgericht auf dem Tisch lieber zweimal nach!

Namaste und liebe Grüße von ,der immer wieder staunenden

Rebecca

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