Da war doch was...was ich noch zeigen wollte

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Montag, 27. Januar 2014

Morgennebel

Von Dezember bis Januar dauert der indische Winter. Dass es einmal kalt wird in Jagdalpur konnte ich mir während der warmen Regenzeit gar nicht vorstellen, aber so ist das ja immer.
Für meinen Nordindienurlaub (siehe Skiverleih Nr.371) hatte ich mit einer Freundin zusammen eine wollende Strickjacke gekauft, mit ihrem Versprechen, dass ich sie auch in Jagdalpur tragen könnte. Die meisten, die ich nach ihrer Lieblingszeit in Jahr fragte, sagten voller Überzeugung: die Winterzeit- und auch mich sollte diese ungewöhnliche, kurze, überraschende Jahreszeit in ihren Bann ziehen.

Eins nach dem anderen eröffneten am Straßenrand improvisierte ’Wintergeschäfte’, wo man über Handschuhe, Mützen, Kopftücher, Wollsocken, schrecklich bunte Synthetikjacken, Daunenjacken und –westen alles bekommen konnte. Auch die Geschäfte in der Hauptstraße änderten ihr Sortiment und die sonst in der untersten Schublade versteckten Schals und Jacken kamen zum Vorschein. Die Lehrer trugen über ihren Saries warme Jacken oder schöne bestickte Tücher und beschwerten sich zich mal am Tag, dass es „einfach zu kalt wäre“ ohne mal nach draußen in die Sonne zu gehen. Ich kaufte mir noch mal eine warme Decke und schloss am Abend die Fenster, die ich seit 5 Monaten noch nie zugemacht hatte- es wurde Winter.

Mal eben mit dem Motorrad vorbei und ein paar warme Jacken kaufen?

Der indische Winter ist schon etwas Sonderbares. Ähnlich wie von Wüstenwetter bekannt, fallen die Temperaturen abends schlagartig auf wenige, vielleicht 9 Grad, die Nacht ist kalt, der Morgen nebelig und ungemütlich, bis die warme Sonne das Land am Morgen um 9 Uhr wieder aufwärmt und man sein Mitgegessen in kühlenden Schatten unter Palmen im T-Shirt genießen kann. Aber gerade diesen wenigen, kalten, nebeligen Morgenstunden verzaubern die Stadt und die Menschen und ich beschloss diesem nachzugehen, bei einem frühen Morgenspaziergang, eingepackt in Socken (Primäre, meine ersten Wollsocken in Indien), Schal und Mütze.


Als um kurz vor 6 am Morgen mein Wecker klingelte hätte ich mich am liebsten, wie sonst immer, noch mal in meiner Kuscheldecke umgedreht und weiter geträumt, aber heute heiß es: Das Morgengeheimnis lüften, und dafür warm anziehen. Mit Kamera und ein wenig Gel für warmen Tee ausgestattet ging’s in die Nachbarschaft zu einen nah gelegenem See den ich wenige Tage zuvor durch Zufall entdeckt hatte. Der Morgen war kalt und nebelig und der Wachposten am Schultor, warm eingemurmelt in seinen Schal, murmelte ein überraschtes „good morning, mam“ und schloss mir das Tor auf.
Das Leben fängt hier in Indien schon sehr früh am morgen an, und selbst wenn die Schulkinder der staatlichen Schulen erst um 9 oder sogar noch später zur Schule müssen, wird morgens gelernt, heiß Wasser zum waschen gemacht, das Grundstück gefegt und die Straße bewässert (es hat seit 3 Monten schon nicht mehr geregnet und um vollkommenes zustauben zu verhindern wird regelmäßig die Straße mit Wassereimern bearbeitet). So musste ich mich zwischen die Wasserschüben aus Plastikeimern hindurchdrängeln, konnte beobachten wie früh am Morgen die Geschäfte mit neuen Waren beliefern wurden, Männer tief eingemurmelt in Schals und Mützen lebendige Händchen mit dem Motorrad zum nächstem Markt fuhren und sich an Feuern an Straßenecken, die zum Müllverbrennen dienen, die Hände gewärmt wurden.


Zwei Sikh- Jungs wärmen sich vor der Schule am Feuer
vor dem Haus auf

Über allem lag der Morgennebel, der die Straßen wie im Märchen erscheinen ließ und besonders als ich am künstlichen See mit einer Götterstatue in der Seemitte, angekommen war kam mir alles ziemlich unwirklich.

wunderbare Natur, Müll, Armut und Reichtum-
manchmal weiß ich nicht ob ich weinen oder lachen soll

Fahrradrikschas warten auf ihren Einsatz
Die Wohngegend um die Schule und auch am See ist sehr ärmlich: kleine Hütten, manche ohne fließend Wasser, Müllberge türmen sich am Uferrand und Kinder spielen später mit gefundenen Metallkisten barfuss in zerlöcherten Kleidern. Ich war da schon eine Erscheinung, und sofort kam eine alte Frau, eingehüllt in schmutzige Tücher und einen Baby auf dem Arm zu mir um mit mir zu reden. Mit einigen Kommunikationsschwierigkeiten verabschiedete ich mich schließlich und erkundete neugierig und staunend den neu angelegten Kiesweg um den See herum.
Eine Frau sortierte vor ihrem Haus Reiskörner und wendete sich ganz schnell ab als ich zu ihr hinüber sah, etwas später trafen sich am Seeufer Männer zum Zähneputzen und redeten belustigt in Hindi. Ich traf Marco und seine Freunde, deren staatliche Schule (dort wird zwar English gelehrt, aber meist nur sehe bescheiden) um 11Uhr beginnt, und die ihre Zeit mit abhängen und Kartenspielen am morgen rumschlagen. Ein Englisch sprechender Shopkeeper auf seinem morgendlichen Spaziergang gesellte sich zu mir und erzählte mir von seiner Familie und seinem Business, einige Zeit lang sah ich 4 Frauen beim Wäschewachen im See zu: kaltes, schmutziges Wasser und einen Berg voll Wäsche von mehreren Kindern, Ehemann und den Schwiegereltern- und trotzdem schienen sie diese Morgendliche Auszeit unter sich zu genießen.



Der neue (fast fertige) Weg um den See- wird am Morgen
 von den Anwohnern wunderbar angenommen und als Treffpunkt,
 für den Morgenwalk oder als öffentliche Waschstätte genutzt.

drei alte Frauen waschen ihre Saris im eiskalten Wasser

so einfach kann man wohnen- schon erschreckend!

Mit  Holz eines Baumes Namens 'Neem' werden die Zähne gereinigt,
 zu findem auf dem Wochenmarkt oder in einigen Gärten

Marco (im blauen Kapuzenshirt) und seine Freunde
- kennengelernt am Morgen

auch die Kühe brauchen ihren Morgenwalk

vier Schönheiten beim waschen und tratschen
- die Unterröcke ihrer Saries zum Kleid gemacht



Viel zu früh brach auch schon das richtige Leben wieder an, immer mehr Menschen kam, winkten mich zu sich, wollten Fotos machen und immer wieder die gleichen Fragen auf Hindi oder gebrochenen English stellen  und einige unserer Schüler führen mit dem Fahrrad vorbei am mir zur Schule. Das war auch das Zeichen für mich sich auf den Rückweg zu machen, allen versichert noch mal wieder zu kommen und dann in ihrem Haus zu essen, zum Abschied gewunken und schnell zurück zur Schule um sich in der Küche etwas auf zu wärmen, warmen Tee und leckeres Frühstück zu genießen, bevor die Schulglocke zur ersten Stunden läutet.


Impressionen aus einer ganz besonderen Zeit in einem Land mit immer wieder neuen Gesichtern. Langsam wird es aber auch am morgen wieder wärmer und auch am Abend braucht man keine Mütze mehr: Die Sommerzeit wartet- und schreibt wieder neue Geschichten.

Namaste, bis bald und liebe Grüße

Eure Rebecca

1 Kommentar:

  1. Hallo Rebecca,
    Dein wunderbarer Blogeintrag hat mich tief berührt. Ich werde dir mein Geld, das ich für die nächsten zwei Wochenenden bekomme überweisen. Du nimmst mich so herrlich mit auf deine Reise, läßt mich ein Stück weit in deine Erfahrungen blicken, und hast mit 19 Jahren mehr Erfahrung, als ich in 50 Jahren. Ich wünsche dir jeden Tag Kraft, Durchhaltevermögen und diese gehörige Portin Sensibilität und Liebe, die dich deine Welt so beschreiben läßt. Sicherlich hinterläßt du bei all den Menschen, die dir begegnen tiefe Spuren, ohne dass du es weißt. Gerade du als junge, gebildete, mutige Frau machst den Frauen dort Mut auf eine Zukunft mit Bildung, Erfahrung und Offenheit. Denke nicht, dass die Frauen nie Gelegenheit auf Bildung und Reisen haben, in 50 Jahren ändert sich die Welt unvorhersehbar und du hinterläßt Samenkörner. Ich hatte Klassenkameraden aus einem hessischen Dorf und die fragten: " Warum soll ich Englisch lernen?" Ich bleibe im Dorf führe die Lanbdwirtschaft weiter und spreche platt. Sie hätten nicht gedacht, dass sie mit ihren Kindern nach London fahren, oder dass einige Fachbücher nur in englisch geschreiben sind. Ihre Welt hat sich stärker verändert, als sie es sich damals vorstellen konnten.
    Weiter so!
    Brigitte
    P:S: Bitte korrigiere die Überschrift, du meintest wohl Herzensangelegenheit.

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